Mittwoch, 22. Juli 2015

"Projektakademie Ländlicher Raum": Studierende präsentieren Dorfentwicklungskonzepte für Wolfshagen

Studierende der PROJEKTAKADEMIE LÄNDLICHER RAUM am "Institute for Sustainable Urbanism (ISU)" in Braunschweig hatten gestern zur öffentlichen Präsentation ihrer Zukunftsideen u.a. für den Luftkurort Wolfshagen im Harz eingeladen. Bei der Bewertung der Projekte ist zu berücksichtigen, dass es sich um Studierende der Fachrichtung Architektur handelt und die Dorfentwicklungsansätze deshalb eher dem baulichen (als etwa dem soziologischen) Bereich zuzuordnen sind. Die Studierenden wurden zu Beginn nicht von Profis sondern von aktiven Bürger(inne)n gebrieft.

Ich ließ mir die Gelegenheit nicht entgehen und saß (zusätzlich zu den offiziellen Gemeindevertretern) mit sieben weiteren interessierten Bürgern und Bürgerinnen gespannt im Publikum. Ich hatte keinerlei Vorstellung davon, was uns erwarten würde und konnte deshalb den drei vorgestellten Konzepten völlig unvoreingenommen begegnen.

Es waren drei sehr unterschiedliche Ansätze, die jeweils eines der in Wolfshagen derzeit aktuellen Herausforderungen zum Thema hatte.




Herausforderung Nr.1: Der nördliche Ortseingang

Wer schon einmal von Norden kommend in unseren Ort hineingefahren ist, hat sicher bemerkt, dass es hier nicht unbedingt einladend aussieht. Linkerhand befinden sich ein großer betonierter Platz, Recyclingmüll-Container, ein paar LKWs, eher unansehnliche (Lager-)Gebäude, eine mit wildem Grün versteppte Fläche. Als Eingangstor für einen Luftkurort nicht gerade repräsentabel und deshalb in den örtlichen Gremien und Vereinen ein Dauerthema. 

Joschua Gosslar entwickelte nun die Idee, diesen Platz zu einem autofreien Begegnungsort für Touristen und Einheimische zu gestalten. Denn: Wolfshagen zieht zwar Wanderer und Mountainbiker an, viele steuern jedoch gezielt einen Parkplatz in Waldnähe an, steigen aus und (rad)wandern, steigen wieder ein und fahren heim. Kaum jemand schaut sich Wolfshagen an oder bleibt anschließend noch zu einer Einkehr im Café oder Restaurant. Das betreffende Areal sollte deshalb so bebaut werden, dass dort sowohl Wohnraum als auch Gewerbe (z.B. eine Werkstatt für Fahrräder) sowie Parkplatz, Car-Sharing-Station, Spiel-, Gemeinschafts- und Begegnungsflächen entstehen - und an die bestehende Buslinie angebunden wird.

Aufnahme von einer Stellwand abfotografiert
Mein Eindruck:

Ein hochinteressantes Projekt, das für das betreffende Gelände tatsächlich sinnvoll sein könnte. Zumindest die von Norden kommenden Wanderer würden hier willkommen geheißen, könnten sich vielleicht auch mit Gleichgesinnten treffen und mehr unternehmen als den reinen (Familien-)Ausflug in die Umgebung.

Was die Attraktivität für neue Anwohner/innen betrifft, bin ich etwas skeptisch, da dieser Ort, bedingt durch die sehr langgezogene Form, ziemlich weit entfernt vom Ortskern liegt. Als Wohnort wäre das Gelände sicher eher attraktiv für (auto)mobile Menschen ohne Kinder, die nicht so sehr die Anbindung an das Dorfleben (inkl. Schule und Nahversorgung) suchen sondern einen guten Platz zum Leben mitten in einer erholsamen Umgebung - und alle Besorgungen des täglichen Lebens eher in den größeren Orten mit dem Auto erledigen. Die Bereitschaft für autofreies Wohnen setzt meiner Meinung nach eine zentrumsnahe Lage voraus. Aber mit Blick auf die künftige demografische Herausforderung (neue Bewohner/innen anzuziehen) kann das Konzept dennoch sehr sinnvoll sein.


Herausforderung Nr.2: Leerstand von Gewerbe- und Wohnimmobilien

Das zweite Projekt bot denkbare Ansätze zum Umgang mit dem zunehmenden Leerstand von Gewerbe- und Wohnraum im Ort - insbesondere auch in der Ortsmitte. Caroline Ossowski hatte dafür drei Bereiche definiert: Leerstehende Gewerberäume mit "toten" Schaufenstern, leerstehender Wohnraum, leerstehende Wohnhäuser im Randbereich. Ziel dabei war eine Stärkung des Ortskerns.

Aufnahme von einer Stellwand abfotografiert
1. Die Idee für die leeren Gewerberäume: Die wichtigsten Themen des Ortes (z.B. Tourismus, Walpurgis, Steinweg/Steinway, Rotes Höhenvieh, Talsperren, Radfahren, ...) könnten jeweils temmporär in einem der Räumlichkeiten mit Schaufenster präsentiert werden und so Anreize für Touristen schaffen, die Angebote des Ortes stärker zu nutzen und sich näher über die Besonderheiten zu informieren. Das Ziel soll sein, die Räumlichkeiten für dauerhafte gewerbliche Nutzung (Verkauf, Vermietung) zu erhalten und dabei aber den Eindruck der Verlassenheit zu vermeiden.

2. Ausgehend von der Einschätzung, dass angesichts der demografischen Entwicklung die Situationen zunehmen werden, in denen ältere Alleinstehende in einem viel zu großen Haus "übrigbleiben", kam der Vorschlag, die größeren Häuser zu Mehrgenerationen-Häusern umzubauen - mit einer barrierefreien Wohnung im Erdgeschoss, einer familiengerechten Wohnung im 1. Stock und evtl. einer Singlewohnung im Dachgeschoss.

3. Da es sich auf längere Sicht möglicherweise nicht vermeiden lässt, dass Grundstücke in den Randbereichen dauerhaft verlassen bleiben, könnten diese gezielt für die Rückeroberung der Flächen durch die Natur "geöffnet" werden (was wohl einen Abriss der ungenutzten Gebäude voraussetzt).

Aufnahme von einer Stellwand abfotografiert
Mein Eindruck:

Die Ideen für die Gestaltung leerstehender Gewerberäume samt Schaufenstern sowie die Umgestaltung größerer Wohnhäuser gefallen mir sehr. Setzt voraus, dass es gelingt, die Besitzer der betreffenden Gewerbe-Immobilien von den Vorteilen einer Kooperation zu überzeugen (je attraktiver ein Standort wirkt, desto eher könnten dauerhafte Mieter/Besitzer gefunden werden). Die Gestaltung von Mehrgenerationenhäusern setzt Investitionsbereitschaft voraus - aber auch hier könnte die Einsicht reifen, dass es besser ist, in die Zukunft zu investieren als die Zukunft irgendwie auf sich zukommen zu lassen (mit allen negativen Folgen).

Strittig im Ort dürfte Bereich 3 sein - wer mag sich schon gern mit der Entwicklung abfinden und Wohnflächen samt dazugehöriger Gartenbereiche einfach aufgeben? Dennoch könnte irgendwann die Zeit kommen, in der man sich vielleicht besser mit der gezielten "Zurück-zur-Natur-Haltung" auseinandersetzt als Flächen planlos verwahrlosen zu lassen.


Herausforderung Nr.3: Demografische Entwicklung / schrumpfende Bevölkerung

Der sicherlich radikalste Entwurf kam von zwei Studentinnen, Bruna Stipanicic und Karla Srsen. Die beiden jungen Frauen haben sich mit der Frage auseinandergesetzt, welche Rolle künftig ein Dorf wie Wolfshagen im Harz in der zunehmenden "Verstädterung" (Urbanisierung) spielen kann - und als Antwort ein Modell entwickelt, wie Wolfshagen zu einer "Oase" für die Stadtbewohner/innen werden könnte.

Der Ansatz: Wolfshagen wird gezielt als Rückzugsort für Städter/innen gestaltet. Radikal ist dieser Ansatz, weil hier auch innerörtliche Leerstände planvoll der Natur zurückgegeben werden sollen, so dass Wolfshagen nach und nach von grünen Bändern durchzogen wird. Die verbleibenden Grundstücke und Gebäude sollen dann nach und nach wieder alte Handwerke und Nutztierhaltung beherbergen. Die Besinnung auf die Tradition steht im Vordergrund und wird als Mittel zur Zukunftsfähigkeit benutzt.


Mein Eindruck:

Hier muss ich zwischen erstem und zweitem Eindruck unterscheiden. Mein erster Eindruck war: Och nö, damit leisten wir der dörflichen Verödung und dem Trend zur Verstädterung noch Vorschub und finden uns mit der Schrumpfung ab. Mein zweiter Eindruck: Nun ja, schauen wir der Realität doch mal möglichst ehrlich in die Augen und besinnen uns auf unsere Stärken - Stärken, die uns die Stadtbevölkerung mitunter zuschreibt in ihrem oft romantischen Verständnis von Landleben, die wir im Dorf aber gar nicht mehr besitzen. Ich bin selbst oft etwas erschrocken, wieviele Menschen hier die Natur vor der Haustür gar nicht mehr richtig kennen bzw. zu schätzen wissen, wie die Gärten zunehmend zu Kiesflächen mit einigen Aussparungen für pflegeleichte Ziersträucher werden, wie in den Gärten das Obst an den Bäumen bzw. auf dem Rasen verfällt, weil niemand mehr Lust oder Zeit hat, die Schätze zu verarbeiten.

In der Konsequenz, so scheint mir, könnte dieses Modell darauf hinauslaufen, dass ein Dorf sich auf diese Weise auf seine Stärken besinnt (solange es noch Menschen gibt, die uns von der Tradition erzählen können) und gerade damit wieder attraktiv wird - zunächst sicher nur für die "Oasenbesucher", aber später vielleicht auch für diejenigen, die sich nicht mehr mit dem Lesen der "Landlust" und einem gelegentlichen Besuch in der ländlichen Idylle begnügen sondern hier auch (wieder) leben mögen. Niemand hat gesagt, dass wir die Segnungen der modernen Gesellschaft im Dorf wieder abschaffen sollen. Im Gegenteil, wenn eine solche Entwicklung einherginge mit modernsten Kommunikationsmitteln, dann hätte ein solcher Ansatz eine Chance. Wenn gestresste Städter/innen auf der A7 nahe an uns vorbeirauschen wollen und per Smartphone darauf aufmerksam gemacht werden, dass in einer "Oase" unweit der nächsten Ausfahrt in einer Stunde öffentlich gezeigt wird, wie Honig geschleudert wird, ein Hotel ein Honigmenü und anschließend eine Honigbehandlung in der Wellness-Abteilung anbietet und das dafür nötige Hotelzimmer auch noch frei ist - wer weiß?

Schlussbemerkung:

Wer diese Ansätze auf sich wirken lassen möchte, sollte noch eines - sehr  Wichtiges - berücksichtigen: Die Studierenden hatten naturgemäß keine Binnensicht auf unser Dorf und deshalb (glücklicherweise) auch nicht die gleiche Brille auf wie wir. Die Studierenden "formten" sich Wolfshagen so, wie sie als potenzielle Besucher/innen oder gar Bewohner/innen den Ort gerne hätten - und diese Brille sollten wir uns ruhig öfter mal ausleihen. Gerade deshalb empfinde ich all die Entwürfe als wichtige Impulse für künftige Überlegungen. Tausend Dank dafür!


2 Kommentare:

  1. Eine sehr gute Dokumentation über die Präsentation der Projekte für Wolfshagen. Vielen Dank, erspart mir die Mühe, meine eigenen Aufzeichnungen zu vervollständigen.

    Helmut Thiel

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